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Sonntag, 13.11.2005 | von: mw

Kenia - Jambo - Marathon, Malindi 13. November 2005

Im November 2005 war ich – Sigrid - das zweite Mal beim Kenia-Jambo–Marathon in Malindi, einem Lauf der Kenia-Kinder-Hilfe ( KKH ), organisiert von Mathilde und Lutz Krücke – den Gründern und Initiatoren dieses Vereins. Waren es 2004 nur acht einheimische Läufer und ca. achtzig Oranges – Orange war auch ihr Outfit – und nur elf deutsche Teilnehmer, so war 2005 das Verhältnis gerade umgekehrt. Dank der Bemühungen von Mathilde und Lutz starteten ca.120 Afrikaner aber nur acht weiße Läufer. Einen ganz kleinen Teil dieser Bemühungen konnte ich miterleben. Sie führten dazu, dass auch Frauen mitliefen – in langen Röcken und in Flip-Flops. Zu laufen trauten sie sich schon, zum Wechseln der üblichen Bekleidung fehlte der Mut, oder aber auch das entsprechende Bekleidungsstück.

 

Für  Renate Herrmann aus Frankfurt sah dieser Tag so aus:

Der 13. November begann für uns “Marathon-Begleitpersonen” um vier Uhr morgens. Ein schwarzer Mann im Tropenanzug und Tropenhelm klopfte unerbittlich an die Tür unseres „Hotelzimmers“ und wir schälten uns aus unseren Moskitonetzen.

4.15-5.00 Frühstück. Die aktiven Marathonläufer saßen mit uns am Frühstückstisch. Sie waren körperlich und mental gut vorbereitet, so schien es mir.

Ich hatte auch einige Vorbereitungen am Tag vorher mitbekommen. Da war das „Briefing“ der Läufer in einem entlegenen Raum des Hotels. Auf der Suche nach dem Raum brauchte ich nur meine Nase einzusetzen, denn ein strenger Schweißgeruch schlug mir entgegen und ich sah schwarze und weiße Marathon-Teilnehmer-Köpfe von hinten. Mister Lutz versuchte im flüssigen Pitchen-Englisch das Wichtigste für den Start zu erklären. Damit alle Teilnehmer noch mal ordentlich ihre Muskeln mit Kohlenhydraten auffüllen konnten, fand am Abend in einem separaten Raum die „Pasta-Party“ statt. Wir durften mitessen und am nächsten Tag zeigte es sich, dass auch wir, das „Begleitpersonal“, Stärkung nötig hatten.

Um 5.00 Uhr, es war immer noch dunkel, stiegen die aktiven Läufer in Funktionskleidung und wir Begleitpersonen mit Hüten und Fächern aus Kokosstroh, auf denen „2. Kenia-Jambo-Marathon 2005“stand, in einen Bus ein. Der war irgendwie anders als die 5-Sterne-Bistro-Busse, die ich in Deutschland schon benutzt hatte. Auf alle Fälle fuhren wir erst mal los zum Start. Nach 40 min Fahrt erreichten wir den Startplatz. Da bot sich uns der erste unvergessliche Anblick dieses Tages. Es leuchteten blütenweiße T-Shirts von ca. 120 Läufern und Läuferinnen in der Morgendämmerung, die schwarzen Gesichter darüber waren nicht zu erkennen. Es wurde heller, und wir sahen uns die einheimischen LäuferInnen genauer an. Die Frauen hatten Röcke oder Tücher an, was wohl nicht das Bequemste ist beim Marathonlauf, aber wir trauten unseren Augen nicht - nur wenige trugen Laufschuhe. Die meisten hatten Zehenriemen-Gummi-Badeschuhe/Flip-Flops gewählt oder waren einfach barfuss. Das war beim ersten Kenia-Marathon 2004 nicht so gewesen. Wir bereuten bei diesem Anblick, dass wir nicht alle verfügbaren Laufschuhe aus Deutschland mitgebracht hatten, aber jetzt war es zu spät für Reuegefühle.

Es war wolkig, es ging ein leichter Wind, es wurden Fotos gemacht, einige kenianische Läufer liefen sich ein, indem sie ca. 50 m immer wieder hin- und herliefen. Die deutschen Läufer trippelten eher auf der Stelle.

Um 6.00 Uhr sollte der Start sein, jede Minute bei verhältnismäßig kühlem Wetter war kostbar, aber die Wasserversorgungsstellen auf der Strecke  waren noch nicht besetzt. So wurde die Fahne zum Start erst um 6.30 Uhr geschwenkt. Der Läuferpulk rannte los und wir stiegen in unseren blümchenbemalten Bus ein. Im Innern klapperte alles, von Federung war wohl zur Zeit der Herstellung des Busses auch noch nicht die Rede. Wir schätzten sein Alter auf 50 Jahre - immer noch jünger als einige von uns,  und er hatte einen großen Vorteil- er hatte Fensterscheiben, die wir aufschieben konnten.

Zuerst fuhren wir eine Nebenstrecke, dann bogen wir auf die Marathonstrecke ein und fuhren an den Versorgungsstellen vorbei. In regelmäßigen Abständen standen am Straßenrand einheimische Jugendliche in signalroten T-Shirts, die vorher an sie verteilt worden waren. Viele, viele Kinder winkten am Straßenrand und das war für Mathilde der Anlass, einen mit bunten Tröten und Rasseln gefüllten Rucksack auszupacken. Wir warfen diese „Anfeuerungsinstrumente“ durch die Busfenster den Kindern auf der Strecke zu, und die Kinder stürzten sich darauf. Es erinnerte mich an das „Bonbonwerfen“ bei Faschingszügen. Jetzt kam auch Leben in die mitfahrenden einheimischen Frauen. Sie waren gar nicht mehr schüchtern. Sie lehnten sich aus den Busfenstern und feuerten die Läufer an, die wir überholten. Auch ich wurde ganz rappelig und lehnte mich aus dem Busfenster und munterte die Läufer auf. Die schienen gar nicht erschöpft, obwohl wir mittlerweile schon bei Kilometer 30 waren und es ganz schön heiß geworden war. Wenn wir mit dem Bus an den Läufern vorbeifuhren, wirbelten wir große Mengen von rotem Staub auf, aber die Läufer winkten uns zu und lachten uns an, dass die weißen Zähne blitzten. Nur einer der ersten Läufer ließ sich von uns nicht ablenken und lief ganz konzentriert seinen Rhythmus.

Während der Busfahrt ging es mir auch mal schlecht. Die Straße war so holperig, dass ich einen Mitfahrer fragte, wie man diese Fahrt beschreiben könnte. Er meinte nur, das könnte man in Worten nicht ausdrücken, das müsse man erlebt haben. Es ging mir immer der Satz durch den Sinn, wenn ich wieder mal wie in einer Rüttelmaschine durchgeschüttelt wurde „lieber gut gelaufen als schlecht gefahren“, aber erst mal blieb ich im Bus. Da war die Stimmung gut. Die einheimischen Frauen benutzten die Tröten und Rasseln, sangen und tanzten im Bus und strahlten uns an.

Einer  Mitfahrerin drohte die Blase zu platzen. Sie meldete ihre Bedürfnisse immer wieder ohne Erfolg an. Ich litt mit ihr. Endlich hatte der Fahrer ein Einsehen. Wir hielten an, die Geschäfte wurden erledigt und der Bus fuhr ein kurzes Stück weiter, um dann gleich wieder anzuhalten.Vor uns war ein Lastwagen stecken geblieben. Es führte kein Weg an ihm vorbei und flott gemacht werden konnte er auch nicht in nächster Zeit. Mein geheimer Wunsch vom Laufen statt Bus fahren ging also in Erfüllung. Wie das aber so ist bei der Erfüllung von Wünschen, das Glücksgefühl stellte sich nicht ein. Wir stiegen mit Sack und Pack, unseren Hüten und Fächern aus und liefen die 2,5 km bis ins Ziel zu Fuß. Es war sehr heiß und roter Staub setzte sich in alle Poren.

Als wir endlich im Ziel, der Schule von Malanga, ankamen, erwarteten uns schon einige Tanzgruppen und Trommelmusik, aber - Enttäuschung pur – die ersten 3 Läufer waren schon vor uns ins Ziel eingelaufen. Das war halt Schicksal und konnte auch nicht durch noch so gute Vorbereitung vermieden werden. Nach dieser kleinen Panne lief aber alles wie am Schnürchen, und wir ahnten noch nicht, was noch alles auf uns zukommen sollte.

Unter Trommelmusik liefen die Marathonläufer strahlend ins Ziel, wurden herzlich empfangen und mit einer Medaille geschmückt. Danach, habe ich mir sagen lassen, konnten die verschwitzten LäuferInnen duschen, was nicht selbstverständlich war, da das Verlegen der Wasserleitung erst kurz vor dem Marathon fertig gestellt worden war. Der Duschkopf bestand aus einer Ölflasche mit durchlöchertem Boden. Wurde das Wasser aufgedreht, ergoss es sich über den verschwitzten Läufer (Läuferin) und floss dann über ein 15 cm großes Loch auf dem Boden ab. Das war ein Beispiel, wie sich Kenianer zu helfen wissen. Ähnliches habe ich während meines Aufenthaltes in Kenia oft bemerkt.

Zu den Ergebnissen der Marathonläufer will ich gar nicht viel schreiben. Es gibt eine offizielle Liste, in der man alles nachlesen kann. Die beste Zeit lief natürlich ein Kenianer mit 2:43:00, der beste „Weiße“ lief 3:57:18, die beste Frau war eine „Weiße“ mit 4:15:21. Die Zeiten sind sicher wichtig, aber für mich war das Wichtigste, dass alle LäuferInnen heil ankamen und sehr zufrieden mit sich und stolz auf ihre Leistung waren. Auch dass diese logistische Meisterleistung zustande kam, imponierte mir sehr.

Der Zieleinlauf des Marathons fand auf dem Gelände der Schule statt, die Lutz Krücke mit Mitteln der „Kinder-Kenia-Hilfe“ erneuert hatte und in vielerlei Hinsicht unterstützt.

Das weitläufige Gelände der Schule füllte sich im Laufe des Vormittags immer mehr mit Einheimischen in bunter Kleidung. Es war ein Volksfest angesagt und man munkelte, Lutz hätte eine Kuh schlachten lassen. Davon war noch nichts zu riechen und zu sehen, wir wurden erst einmal zu einer kleinen überdachten Tribüne geleitet. Hier kamen wir uns vor wie VIPs und brauchten auch nicht lange auf Darbietungen zu warten. Es wurden Tänze mit und ohne Gesang vorgeführt von Frauen-, Mädchen-, Kindern- und Jungengruppen. Die Kindergartenkinder waren eine besondere Augenweide, Alle waren prächtig angezogen, strahlten Selbstbewusstsein aus und tanzten in stolzer Haltung. Während der ersten Tanzvorführungen fühlte ich mich wie im Traum. Diese Bilder hatte ich bisher nur im Film gesehen, jetzt war es Wirklichkeit, und es waren keine Vorführungen für Touristen sondern wirkliches afrikanisches Leben. Die Darbietungen gingen weiter und weiter und weiter. Immer neue Tanzgruppen zogen ein, tanzten und sangen. Wir Gäste wurden auch aufgefordert mitzutanzen, das sah zwar nicht so gut aus, weil uns der Hüftschwung fehlte und auch die passende Kleidung, aber es machte Spaß.

Zwischendurch wurden vom Headmaster, vom Landrat, von einem Mitglied des Parlaments und vom Adjudanten des Vice-Präsidenten längere und kürzere Reden gehalten. Wenn wir Glück hatten, sprachen sie Englisch, aber auch in der Landessprache „Swahili“.

Besondere Ehre widerfuhr Mister und Misses Lutz. Sie wurden als Einheimische eingekleidet. Nach der Einkleidung hatte Lutz zwei große Tücher um sich geschlungen, eine Kokosfasertasche über der Schulter und einen langen Stock in der Hand. Er wirkte wie ein Hirte. Noch besser, d.h. wärmer wurde Mathilde angekleidet. Das Ziel war anscheinend, sie möglichst  dick und alt aussehen zu lassen, was wohl Wohlstand und Ansehen in dieser Gegend bedeutet. Sie tanzte auch in dieser Kleidung und später gestand sie uns, es wäre wie in der Sauna gewesen. Währenddessen sah ich mich um. In einer großen Runde saßen Hunderte von Einheimischen in der prallen Sonne, ohne zu essen oder zu trinken und verfolgten aufmerksam die Darbietungen der Tanzgruppen. Einige Mütter stillten ihre Säuglinge. Beeindruckend für mich waren auch die „Musiker“. Sie schlugen auf sehr alte Trommeln oder auch nur Bleche und bückten sich dabei oder knieten während der ganzen Zeit ihres Auftritts. Das Ergebnis ihrer Bemühungen konnte sich hören lassen, die fehlende Qualität ihrer Instrumente glichen sie durch Talent und Begeisterung aus.

Während der Darbietungen kamen nacheinander die Marathonläufer zu unserer Tribüne. Sie wurden beglückwünscht und setzten sich zu uns. Dann kam Sigrid Eichner. Es ging ein Raunen durch die Reihen der anwesenden Menschen. Man hatte mir schon vorher gesagt, dass  eine 65 Jährige heute ihren 1060sten, in Worten: eintausendsechzigsten Marathon laufen würde. Jetzt war sie angekommen. Müde war sie sicher und ums Knie hatte sie einen Verband, der an einer Stelle etwas blutig war, aber sie tanzte gleich mit einer Gruppe von Einheimischen. Danach trauten sich noch einige aus unserer Gruppe ohne Aufforderung mitzutanzen.

Gegen 16.00 Uhr war ich irgendwie kaputt. Wir saßen schon etliche Stunden auf den Tribünenplätzen, und es war doch von Essen die Rede gewesen. Zuerst ging eine Frau durch unsere Reihen, damit wir uns die Hände waschen sollten. Das lief folgendermaßen ab: Die Frau hatte ein wassergefülltes  Plastikkanisterchen in der Hand. In einer Ecke war ein Loch gebohrt und in dem steckte ein Stöckchen. Sie zog das Stöckchen heraus, das Wasser floss –rieselte über unsere Hände. Sie steckte das Stöckchen wieder in das Loch des Kanisterchens und die Prozedur wiederholte sie beim Nächsten. Dann wurden Teller mit dampfendem Reis herumgereicht. Es war Pilau mit Fleisch, ein Nationalgericht. Es duftete köstlich und wir waren hungrig, aber wie sollten wir den Reis in den Mund bugsieren? Ich sah, wie Lutz geschickt den Reis mit den Fingern aß und wollte auch mit den Fingern essen. Erst verbrannte ich mir die Finger, dann fielen mir die Reiskörner auf den Boden, denn es war körniger  Reis, kein Klebereis. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mir in meinem Leben vorher mal so sehnlichst einen Löffel gewünscht hätte. Ich habe es nicht geschafft, mit den Fingern den Reis zu essen. Später waren wenige Blechlöffel da, das Pilau schmeckte köstlich! Ich habe das Rezept.

Gegen 18.00 Uhr, es tanzten weitere Gruppen, verabschiedeten wir uns  und gingen langsam Richtung Bus. Mathilde zeigte mir noch die Klassenräume und Schulbänke, die die Kenia-Kinder-Hilfe ( KKH) der Schule  gespendet hatte. Der blümchenbemalte Bus stand abfahrbereit, als wir ankamen, und ich dachte, da wären wieder so reichlich viele Plätze frei wie bei der Hinfahrt. Weit gefehlt! Es gab nur noch wenige Stehplätze. Wir transportierten nicht nur die „weißen“ Marathonläufer zurück ins Hotel (sie wollten absolut nicht die Strecke zurücklaufen!) sondern auch einige einheimische Läufer. Ich bekam, weil schon etwas älter und als Frau, auf einer 2er Bank den 3.Platz in der Mitte. Rechts von mir saß der beste „weiße“ Läufer dieses Marathons (sehr schlank) und links saß ein einheimischer Läufer (auch sehr schlank, aber vor allem sehr müde). Während ich mich mit meinem rechten Nachbarn lebhaft unterhielt, legte der linke Nachbar sanft seinen Kopf auf meiner Schulter ab.

Die Rückfahrt war, wie die Hinfahrt,  unbeschreiblich  holperig. Wir flogen bei Schlaglöchern hoch und durcheinander, aber das war kein Grund für meinen Nachbarn aufzuwachen. Es ist schon erstaunlich, unter welchen Bedingungen der Mensch schlafen kann, wenn es sein Körper braucht

Dieser Marathontag ging nun zu Ende. Es war unser dritter Tag in Kenia, und ich dachte mir beim Einschlafen: „Für diesen Tag hat sich die Kenia-Reise schon gelohnt“.

 

Renate Herrmann November 2006


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