Gänsehaut in der "Boxengasse" - Apeldoorn (21.05.2007)

Einem Marathon- und/oder Ultraläufer zu beschreiben, wo "Apeldoorn" liegt, hieße "Eulen nach Athen tragen" oder "Wasser in den Rhein schütten". Weit über die Grenzen der Niederlande hinaus bekannt sind nämlich der seit Jahrzehnten stets am ersten Samstag im Februar ausgerichtete "Midwinter-Marathon" und der nun auch schon zum 28. Mal üblicherweise am Freitag/Samstag nach dem Himmelfahrtstag und damit im Mai veranstaltete 24-Stunden-Lauf.

  Zu meinem erstmaligen Start beim "Midwinter-Marathon" kam ich "wie die Jungfrau zum Kind". Ich war nämlich am 5. Februar 1977 zu einem Ort nahe der deutsch-niederländischen Landesgrenze angereist, wo ein Crosslauf stattfinden sollte. Dieser fiel jedoch aus, und man empfahl mir die Weiterfahrt nach Apeldoorn. Spontan führte ich diese durch, und da bei meiner Ankunft auf dem dortigen Veranstaltungsgelände die Teilnehmer/innen der Läufe über kürzere Distanzen bereits unterwegs waren, verblieb mir nur noch, an dem erst um 12.00 Uhr gestarteten Marathonlauf teilzunehmen. Ich beendete diesen - ohne spezielle Trainingsvorbereitung sozusagen "aus dem Stehgreif" gelaufen - nach brutto 3:17:09 Stunden (im Alter von damals 34 Jahren konnte ich so etwas) und ließ daraufhin noch weitere 11 Teilnahmen am "Midwinter-Marathon" folgen.

  Meinen ersten Start im Rahmen des 24-Stunden-Laufes bestritt ich hingegen erst im Jahr 2005. Dies verwundert mich selbst etwas. Denn die "24 Stunden von Apeldoorn" sind lange schon eine Traditionsveranstaltung. Die ersten beiden Auflagen (1978 und 1979) wurden noch im benachbarten Epe durchgeführt. Dann (1980) verlegte man die Veranstaltung nach Apeldoorn. Zunächst war sie ein reiner Staffellauf-Wettbewerb. Seit 1984 ist der Apeldoorner 24-Stunden-Lauf auch für Sololäufer/innen zugelassen. Erster Sieger bei den Männern mit dem Superergebnis von 252.703 m war Wolfgang Schwerk, der auch heute noch (2 Jahrzehnte später) in der fast unglaublichen Lage ist, gleichwertige Laufleistungen zu erbringen (so z.B. am 01./02.04.2006 in Stein/NL, wo er als Sieger des dortigen 24-Stunden-Laufes 248.431 m zurücklegte). Wolfgang ist auch in diesem Jahr wieder in Apeldoorn an den Start gegangen. Er war allerdings diesmal nicht vom Glück verfolgt (siehe unten).

  Zu besten Zeiten registrierte man in Apeldoorn ca. 100 Staffelteams und 110 Sololäufer/innen. Sehr groß war stets der Anteil deutscher Teilnehmer/innen (1991 wurden in Apeldoorn sogar die DUV-Meisterschaften ausgetragen). Zahlreiche Landesrekorde in den unterschiedlichen Altersklassen und persönliche Bestleistungen wurden in Apeldoorn erzielt. Den Streckenrekord bei den Männern hält der Niederländer Ron Teunisse (jetzt nicht mehr als Wettkampfteilnehmer aktiv, aber diesmal als Zuschauer anwesend) seit 1990 mit 261.475 m. 1992 wurden im Rahmen des Apeldoorner 24-Stunden-Laufes sogar die ersten Europameisterschaften ausgetragen. Es siegten damals - wie so oft in Apeldoorn - Deutsche, nämlich Helmut Schieke (jetzt Mitorganisator des "IsarRun") mit 250.698 m bei den Männern und Sigrid Lomsky mit 231.008 m bei den Frauen (wohl auf unabsehbare Zeit hinaus unangetasteter Streckenrekord). Auch bei den im Jahre 2001 erneut in Apeldoorn ausgerichteten Europameisterschaften gewann mit Paul Beckers (260.559 m) ein Deutscher. Alle vorgenannten Leistungen waren und sind auch jetzt noch absolute Weltklasse-Resultate, mit denen man nach wie vor in der "Ewigen Weltbestenliste" ganz weit vorne platziert ist.

  Als der "Laufboom" allerorts nachließ, mussten auch die Organisatoren des Apeldoorner 24-Stunden-Laufes Überlegungen anstellen, wie man die Veranstaltung mit zusätzlicher Attraktivität anreichern könnte. Da sich gegen Ende eines 24-Stunden-Laufes das Teilnehmer/innenfeld üblicherweise etwas "ausdünnt", nahm man einen 6-Stunden-Lauf ins Wettkampfprogramm auf, der nach ¾ der "24 Stunden" gestartet wird und gemeinsam mit diesen endet (Start 24-Stunden-Lauf freitags um 14.00 Uhr, Start 6-Stunden-Lauf samstags um 8.00 Uhr, Ende beider Läufe samstags um 14.00 Uhr). Seit dem letzten Jahr wird nun auch ein Staffellauf für maximal 5 Läufer/innen über 6 Stunden angeboten. Voraussetzung für eine Teilnahme am 24-Stunden-Lauf ist, dass man mindestens 20 Jahre alt ist und einen Vorjahreswettkampf nachweisen kann, in dem man mindestens 100 km zurückgelegt hat. Für einen Start im 6-Stunden-Lauf gibt es keine Limitierungen.

  Die Laufstrecke sieht - aus der Vogelperspektive betrachtet - so aus, als ob man einen liegenden Bumerang mit einem Schreibzeug umrandet und ihn anschließend entfernt hätte. Sie ist verkehrsfrei, flach, durchgehend asphaltiert und nachts beleuchtet. Nach offizieller IAAF-Vermessung mit Jones Counter beträgt die derzeitige Streckenlänge für die Staffeln (deren Wechselzone auf der linken Seite einer gesperrten breiten Straße eingerichtet ist) 1.651,86 m und für die Sololäufer/innen 1.652,72 m. Entlang der "Innenkurve des Bumerangs" ist es für die Teilnehmer/innen und deren Betreuer/Anhängerschaft gestattet, Zelte zu errichten und Wohnmobile/Campingwägen abzustellen. Beim Durchlaufen dieser "Boxengasse" schlagen einem anerkennender Beifall und fast schon "südländische Begeisterung" entgegen, so dass es mitunter vorkommen kann, dass einem angesichts dieser tollen Atmosphäre Schauer der Emotion über den Rücken laufen. Wer vom Donnerstag zum Freitag und/oder vom Freitag zum Samstag vor Ort kostenlos übernachten oder sich im Verlauf seines Wettkampfes zu einer Regenerationspause in ruhigere Gefilde zurückziehen will, kann dieses in einer nahe gelegenen Sporthalle tun. Dass den Athletinnen und Athleten "rund um die Uhr" Ärzte, Physiotherapeuten, Masseure und Sanitäter zur Verfügung stehen, versteht sich bei dieser großartigen Veranstaltung eigentlich fast von selbst.

  Leider waren die "24 Stunden von Apeldoorn" in den letzten beiden Jahren nicht von schönem Wetter begünstigt worden. Und es sah für mich zunächst so aus, als ob auch in diesem Jahr nicht mit solchem gerechnet werden durfte. Auf meiner gegen 4.15 Uhr in Bonn angetretenen Anreise begleitete mich innerhalb von Deutschland (entlang der A59 und A3) tristes Regenwetter. Aber wie schon so oft riss ab dem deutsch-niederländischen Grenzübergang Elten die bis dahin geschlossene Wolkendecke auf, und es fielen keine Niederschläge mehr. Bei meiner Fahrt über die niederländische A50 konnte ich mich bereits an Aufhellung und ersten Sonnenstrahlen erfreuen. Am Veranstaltungsort selbst war das Wetter endgültig freundlich. Die Temperatur lag nach meinem Empfinden jedoch zunächst noch im Bereich "nass-kalt". Ab 11.00 Uhr schien dann aber für den Rest des Tages die Sonne von weiß-blauem Himmel, und es wurde nun so warm, dass ich nach jeder Runde zwei Wasserschwämme über meinem Kopf und Körper ausdrückte.

  Was das Wetter am Vortag betrifft, so muss ich auf die Darstellungen der an diesem Freitag, dem 18.05.2007, um 14.00 Uhr gestarteten Aktiven zurückgreifen. Nach übereinstimmender Schilderung machte vielen von ihnen am Nachmittag und Abend die Wärme und eine sehr hohe Luftfeuchtigkeit ziemlich zu schaffen. Die Folge war eine vermehrte (und manchmal hemmungs- oder/und wahllose) Flüssigkeitsaufnahme, die bei manchen Teilnehmerinnen/Teilnehmern zur Magenverstimmung führte. Zwar brachte ein leichter Regen in der 2. Hälfte der Nacht etwas Abkühlung und Erfrischung. Dessen Verdunsten bewirkte am Samstagmorgen jedoch eine erneut hohe Luftfeuchtigkeit. "Witterungsopfer" gab es diesmal erstaunlich viele. Aus deutscher Sicht war das prominenteste Wolfgang Schwerk. Es wurde erzählt, dass Wolfgang beabsichtigt hatte, den Weltrekord in seiner Altersklasse zu verbessern. Entsprechend schnell war er das Rennen angegangen. Bald stellten sich jedoch bei ihm arge Magenbeschwerden ein, sodass er von seinem Rekordvorhaben Abstand nehmen musste. Wolfgang versuchte hernach, den Wettkampf ohne Ambitionen fortzuführen, aber auch dies war ihm schließlich nicht mehr möglich.

  Auch in diesem Jahr war die deutsche Ultralaufszene in Apeldoorn wieder mit relativ vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern vertreten. Dass diese mit teilweise herausragenden Leistungen aufwarteten, lässt sich dem nachfolgenden Ergebnislisten-Auszug entnehmen, der die Erstplatzierten, alle deutschen Starter/innen und gute niederländische Laufbekannte enthält:

  24-Stunden-Lauf:
1. Jan-Albert Lantink - MPM-Hengelo - NL - 237.086,0 m
2. Math Roberts - Unitas-Gulikrunners - NL - 223.686,2 m
3. Michael Irrgang - Troisdorfer LG M.U.T. - D - 217.442,3 m
4. - 1. Frau - Mary Larsson - TV88 - Schweden - 216.402,6 m
5. Jan Michael Andersen - Dänemark - 213.933,9 m
6. Ernst Daniël - AAV36 - NL - 204.517,6 m
7. - 2. Frau - Marika Heinlein - Lauftreff Geesdorf - D - 204.091,6 m
8. Chislain Dops - B - 203.985,6 m
9. Simon Pols - AV Startbaan Amstelveen - NL - 202.404,8 m
10. - 3. Frau - Sabine Strotkamp - LG Kreis Ahrweiler - D - 180.000,8 m
13. Mattin Becker - Troisdorfer LG M.U.T. - D - 174.268,6 m
14. - 4. Frau - Angela Ngamkam - TuS Griesheim - D - 172.598,9 m
15. - Jan Bergmann - DUV - D - 168.402,7 m
16. - Adrie van Dijk - ATC'75 - NL - 167.572,7 m
17. Peter Suijkerbuijk - S.V. Diomedon Steenbergen - NL - 162.638,6 m
21. Oliver Leu - LG Bremen Nord / DUV - D - 150.397,5 m
24. - 6. Frau - Barbara Becker - LT Injoy Dorsten - D - 146.115,4 m
26. Wolfgang Schwerk - Sri Chinmoy Marathon Team - D - 137.175,8 m - x)
28. Tom Hendriks - AV Haarlemmermeer - NL - 132.217,6 m - x)
29. Theo Cloosterman - GVAC - NL - 128.002,4 m
34. Martin Schröer - Gerscheder SV Essen - D - 118.851,1 m
35. Willy Jonkers - AVVN - NL - 117.343,1 m - x)
36. Thomas Blumtritt - D - 114.037,7 m - x)
37. Günter Haude - Post SV Holzminden - D - 113.166,0 m
38. Peter Ludden - Gerscheder SV Essen - D - 103.214,6 m - x)
39. Jochen Thielen - Schalke 04 - D - 100.815,9 m - x)
40. Karl-Heinz Becker - E.ON Ruhrgas SG - D - 100.815,9 m - x)
41. Alfons Vekemans (der Vorjahressieger) - AVZK - B - 100.815,9 m - x)
42. Hans-Peter Heise - LT Schönebeck - D - 100.815,9 m - x)
43. Frank L.M. Schut - Hoogkerk - NL - 85.914,4 m - x)
45. Ute Caninenberg - D - 83.418,0 m - x)
46. Jutta Jöhring - TUSEM Essen - D - 81.729,3 m - x)
52. Jelle Bolte - AVVN - NL - 62.803,4 m - x)
53. Jan Suijkerbuijk - S.V. Diomedon Steenbergen - NL - 61.150,6 m - x)
55. Ineke Scheffer - SV Friesland - NL - 56.192,5 m - x)
56. Carel Schrama - AV Suomi - NL - 49.581,6 m - x)
57. Paul Beckers - AC Herentals - B - 46.276,2 m - x)

  6-Stunden-Lauf:
1. Tonnie Stouten - AV Veluwe - NL - 78.260,8 m
2. Walter Bouwen - AC Hulshout - B - 77.151,1 m
3. - 1. Frau - Ulrike Steeger - LG Bonn-Troisdorf-Niederkassel - D - 71.498,0 m
4. - 2. Frau - Karin van Eck - Daventria - NL - 65.478,1 m
8. Markus Theissen - LG Mützenich - D - 61.844,6 m
10. Klaus-Dieter Mauritz - Post-SV Holzminden - D - 59.631,9 m
16. Jos de Krijger - AV Phanos Amsterdam - NL - 56.602,5 m
17. Karl-Heinz Formanski - LG Bonn-Troisdorf-Niederkassel - D - 55.432,8 m
18. Günter Meinhold - LT Hemsbach - D - 55.255,8 m
20. Jörg Beine - Non-Stop-Ultra - D - 53.428,0 m
21. Jos Hopman - AVVN - NL - 52.665,3 m
22. Rob Steyger - AVVN - NL - 51.898,3 m
24. Herman Holterman - LAAC Twente - NL - 50.813,6 m
27. Jodi Kremer - Loopgroep Bedum - NL - 46.276,2 - x)
28. Volker Berka - DJK Ochtendung / 100MC - 43.715,7 m
29. Theo de Jong - AV Statina - NL - 43.047,7 m
31. Daniela Ahrberg - Non-Stop-Ultra - D - 41.860,0 m
33. René Strosny - Bautzener LV - 35.423,1 m - x)
35. Ron Bakker (der Vorjahressieger) - AVVN - NL - 33.054,4 m - x)
36. Nico Schoone - NL - 28.096,2 m - x)

  x) Von diesen Teilnehmern/Teilnehmerinnen weiß ich definitiv, dass sie den Wettkampf vorzeitig beendeten.

Zu meiner "Vorstellung" am 19.05.2007 in Apeldoorn gibt es Folgendes zu vermelden: Ich hatte mich schon lange auf diese Veranstaltung gefreut und bestritt natürlich "lediglich" den 6-Stunden-Lauf, da ja alles andere "einige Nummern zu groß" für mich wäre. Obwohl es nach meinem subjektiven Gefühl zur 6-Stunden-Lauf-Startzeit um 8.00 Uhr nass-kalt und ungemütlich war, trabte ich während der ersten beiden Runden dann auch recht hoffnungerweckend dahin. Gegen Mitte der 3. Runde und damit nach ca. ½ Stunde Laufzeit verspürte ich plötzlich einen heftigen Stich im Bereich meines rechten Hüftgelenkes. Ein Weiterlaufen schien unmöglich zu sein. Ich tat es aber dennoch, wobei mir der Gedanke half, noch nie in meinem Leben einen Marathon- oder Ultralauf vorzeitig beendet zu haben, und wohl wissend, was mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Folge eines Abbruches gewesen wäre, nämlich das Ende meines ohnehin keine nennenswerten Perspektiven mehr bereithaltenden Läuferdaseins. So bin ich halt: Andere Laufkameradinnen oder Laufkameraden beglückwünsche ich zu deren Vernunft, das Rennen bei einer Verletzung nicht fortgesetzt zu haben. Im eigenen Verletzungsfalle vermag ich jedoch keine Einsicht aufzubringen. Seltsamerweise schoss mir ein Spruch durch den Kopf, mit dem ich meine beiden Söhne, als diese noch Kinder oder später dann Jugendliche waren, wohl oft genervt hatte: "Ein Berka gibt nicht auf!" Etwa 3½ Stunden lang versuchte ich also, die Schmerzen wegzudenken und meine nun behinderungsbedingte Fehlhaltung so gering wie möglich zu halten. Nach 4 Stunden Laufzeit, in den restlichen 2 Stunden also, verspürte ich dann aber erfreulicherweise kaum mehr eine Beeinträchtigung. Nun "rollte ich" sogar relativ akzeptabel dahin, und ich versuchte jetzt zu retten, was noch zu retten war. Dabei kamen 43.715 km zustande, mit denen ich letztlich zufrieden war, da ich unter Zugrundelegung meiner Leistung während der letzten beiden Stunden ein Ergebnis im Bereich meines Vorjahresresultates von 44.405 m erzielt hätte.

  Volker BERKA ("FranksVater"), 20.05.2007, 303. M+U