Geschafft! 

Groß Glockner Ultra Trail GGUT 110

 

Im Frühsommer 2023 meldet sich der passionierte Berg- und Ultralangstreckenläufer, Clubmitglied Christoph Wurm für 165 € zum Großglockner Ultra Trail an. Da der Autor mit seiner Urlaubsplanung noch nicht ganz im Reinen ist, lässt er den günstigen Anmeldezeitraum verstreichen und meldet sich zwei Wochen später dann für 190 € an.

Erst danach wird genaueres gecheckt, wie Zeitlimits, Pflichtausrüstung und Gegebenheiten der Strecke. Hätte ich vielleicht vor der Anmeldung machen sollen, ist aber nun so. Mit Claudia und Mukir, die den GGUT schon gelaufen waren, hatte ich schon einige Male über die lange Strecke gesprochen und bin so doch grundsätzlich über die Gegebenheiten informiert. In den letzten Jahren wurde der Lauf für viele Teilnehmer abgebrochen, da extrem schlechtes Wetter und/oder Gewitter aufgezogen waren. Daraufhin hat der Veranstalter, vor zwei Jahren, die Laufrichtung umgedreht, so dass besonders exponierte Passagen nun über Tag gelaufen werden. Die Sache ist nämlich die, dass der Großglockner, im Alpen Hauptkamm gelegen, drei unterschiedliche Wetterseiten hat und auf allen drei Seiten muss das Wetter einigermaßen okay sein. Jedenfalls darf auf keiner Seite ein Gewitter am Berg kleben. Und das ist nun im Hochgebirge, im Sommer, schon etwas tricky, aber ich bin guter Dinge und gehe davon aus, dass das Rennen dieses Jahr durchgezogen wird.

Gemeinsam mit meiner Frau habe ich ein Ferienquartier in Saalbach, im Glemmertal bezogen, von dort sind es circa 25 Minuten bis Kaprun, dem Start- und Zielort des Großglockner Ultras.  

Zur Vorbereitung war ich den Maintal Ultra Trail (64 km/1900 Höhenmeter), zwei Wochen vor dem GGUT und den Gletscher Ultra Trail (56 km/3000 Höhenmeter), eine Woche vor dem GGUT gelaufen. Eigentlich fühle ich mich super vorbereitet.

 

Donnerstag! Vor dem GGUT mache ich gemeinsam mit meiner Frau noch den Pinzgauer Spaziergang von Saalbach zur Schmittenhöhe/Zell am See. Von dem Höhenwanderweg hat man eine fantastische Aussicht auf die Nordseite der Hohe Tauern, inklusive Kitzsteinhorn, Großglockner und Großvenediger. Dieser Blick von 2000 Metern, auf die über 3700 m hohen Gipfel auf der anderen Talseite flößt mir großen Respekt ein. Selbst auf 2000 m ist es schon ungemütlich. Ein Teil der Strecke kann man erahnen, wichtige Punkte wie Kaprun, der Moserboden, die Rudolfshütte und die Scharte darüber, die das Glockner Massiv vom Venediger Massiv trent, sind von dort oben gut zu erkennen. An der Nordseite des Alpenhauptkamms kenne ich mich einigermaßen aus, die verdeckte Südseite ist mir dagegen eher fremd.

Bei den Blicken darüber bin ich mir unsicher, ob ich erst gar nicht antreten oder antreten und auf Abbruch spekulieren soll. Naja, Donnerstags abends dann ins Bett und eine „geht so“ Nacht verbracht. Der Plan ist eigentlich, so lange wie möglich schlafen, aber um 7:30 Uhr werde ich schon wach, die Aufregung halt!  

 

Freitag! Naja, fertig machen und gemeinsam mit der Gattin erst mal nach Kaprun, nach dem Rechten sehen. Wie schon geschrieben, circa 25 Minuten Fahrzeit, am Ortseingang begrüßt ein großes Banner Läufer und Zuschauer, Großparkplatz an der Seilbahnstation, alles gar kein Problem. 

Kaprun mit seinen 3200 Einwohnern ist selbst für österreichische Verhältnisse ein riesiges Touristen Magnet. Gemeinsam mit der Gemeinde Zell am See bildet Kaprun die Tourismusregion Zell am See-Kaprun, die mit 17.620 Betten und rund zweieinhalb Millionen Übernachtungen jährlich, zu den bedeutendsten Tourismuszentren in Österreich zählt. Der Kapruner Hausberg ist das 3203 m hohe Kitzsteinhorn.

Ich bin so aufgeregt, dass ich noch fast von einem Auto (welches ich weder gesehen, noch gehört habe) überfahren werde. Meine Frau meint darauf hin, sie habe mich noch nie so nervös und aufgeregt erlebt (und wir kennen uns seit einem 1/4 Jahrhundert). 

In dem kleinen Dorfzentrum holen wir bei Bründl Sport meine Startunterlagen ab. Dazu muss ich vorher im Detail meine Pflichtausrüstung präsentieren, bekomme anschließend so ein Festivalbändchen ums Handgelenk und darauf hin erst die mageren Startunterlagen, bestehend aus einem Dropbag Beutel, der Startnummer und einem GPS Tracker. Keine Goodies, außer ein paar Gutscheinen, die aber wenig zu gebrauchen sind. Während dessen laufen im Ziel schon die Läuferinnen und Läufer der beiden kürzeren Strecken, 17 km und 34 km ein. Die Sonne scheint, die Stimmung ist allgemein gut, meine Stimmung kann ich nicht ehrlich einschätzen. Ich schwanke zwischen Schweißausbrüchen, Schwindel, Unwohlsein, Panik und ich weiß nicht was. Christoph ist heute Morgen in Marsberg im Sauerland mit dem Zug aufgebrochen und mittlerweile auch auf dem Weg nach Kaprun. Mein Telefon klingelt, Christoph ist dran und berichtet: „hast du schon gehört? Wegen der Wettervorhersage gibt es eine Streckenänderung, die Strecke ist von 110 km auf 116/120km verlängert worden, dafür haben sie aber etwas an Höhe rausgenommen.“ Naja!

Der Veranstalter beschreibt seinen Lauf so: „Der Grossglockner ULTRA-TRAIL führt weitgehend auf Wanderwegen der so gennannten "Glocknerrunde" rund um Österreichs höchsten Berg, den Großglockner (3.798 m). In der einzigartigen Landschaft des Nationalparks Hohe Tauern geht es durch 3 Bundesländer, 7 Täler, 6 Gemeinden, 2 Mal über die Alpen, vorbei an 14 Gletschern, rundherum rund 300 Gipfel mit mehr als 3.000 m. … Der GGUT 110 stellt mit 6.500 positiven Höhenmetern im Aufstieg, 4 Pässen mit über 2.500 m, einer durchschnittlichen Höhe von über 2000 m in mehr als der Hälfte der Strecke und vielfach technisch sehr schwierigem Terrain eine extreme Herausforderung dar. Erfahrung mit Langstreckenrennen in den Bergen und starke körperliche und psychische Belastbarkeit sind Grundvoraussetzung.“

Jetzt gibt es erst mal noch einen großen Eisbecher im Dorfzentrum, danach geht’s wieder zurück in die Ferienwohnung nach Saalbach. 2 Stunden versuche ich zu schlafen, klappt leider nicht, nur etwas ausruhen. Dann ein gewaltiges Nudelabendessen, zurechtgelegte Laufkleidung und Ausrüstung anziehen und wieder nach Kaprun.

Um 20:45 Uhr komme ich wieder auf dem großen Parkplatz an, stelle das Auto am Parkplatzrand ab und warte auf den Herrn Wurm. Der trudelt dann auch einige Minuten später ein, nach einer herzlichen Begrüßung deponieren wir unsere Sachen im Auto, präparieren uns selber und packen unseren Dropbags. Wir schlendern ins Zentrum von Kaprun in den Start– und Zielbereich, geben unsere Säcke mit der Wechselkleidung auf, trinken noch etwas und besuchen auch vorsichtshalber noch mal die Toilette. Insgesamt stehen 320 Starter/innenauf der Startliste für die Langstrecke. Professionelle Moderatoren versuchen die Stimmung anzuheizen, laute Musik wird gespielt, aber die allermeisten Läufer sind mit sich selber beschäftigt und sehr fokussiert. Wir auch.

Pünktlich um 22:00 Uhr wird der Lauf gestartet. 

Der Lauf gliedert sich im Grunde in sechs Segmente, die durch die Hauptverpflegungsstellen und Cutoff  Zeiten vorgegeben sind.

 

Kaprun - Uttendorf

Aus dem Örtchen Kaprun, auf 780 m Seehöhe gelegen, geht es sehr schnell auf die Schlechtwetter-Umgehung, der Mooserboden wurde ja ausgespart. So geht es 18 km sehr, sehr flach auf dem Radweg durch das Salzachtal nach Uttendorf. Nach circa 15 Minuten fängt es dann auch an zu regnen, Jacke an, weiterlaufen. Oben sehen wir gewaltige Gewitter. Die Stirnlampe funktioniert auch im Regen einwandfrei, es regnet so stark, nach weniger als 1 Stunde bin ich trotz hervorragende Regenjacke klitsche nass. In den Goretex-Geländelaufschuhen steht auch das Wasser, ist halt von oben reingelaufen. In Uttendorf steht ein großes Zelt mit einem Indoor-VP. Getränke werden aufgefüllt ein wenig genascht.

Uttendorf liegt auf 800 m Seehöhe,

Segment I: 01h50min, Gesamt 01h:50min

 

Uttendorf - Rudolfshütte

Vom VP im Ortszentrum von Uttendorf ging es dann weiter Richtung Süden, über die Salzach und unter der B168 durch, Richtung Hohe Tauern. Erst eben, dann langsam ansteigend. Eine kleine Straße, die bis zum Enzingerboden geteert ist, den Berg hoch führt und immer schmaler und enger wird. Bis zum Weiler Schneiderau ist es eine normale Straße, danach geht sie zur Panoramastraße über und schlängelt sich über 7,2 km und 14 Kehren, 470 m bis zum Enzingerboden den Berg hinauf.

Am Enzinger Boden war ich vor 15 Jahren schon einmal, damals eine idyllische Seilbahn Talstation, heute ein Industrie/Gewerbegebiet mit riesigen Container-Wohnunterkünften, Fahrzeugen und Hallen. Im stockdunkeln ist da natürlich nicht viel zu erkennen. Die Eingangstür der Seilbahn Talstation ist für uns geöffnet, kein echter VP aber man kann die Toiletten benutzen. Ich nutze dieses, um meine Trinkflaschen wieder aufzufüllen, mir ein trockenes T-Shirt und die Handschuhe anzuziehen. Mit Christoph führe ich unterhaltsame und spaßige Gespräche, wir versuchen uns so weit wie möglich abzulenken, um nicht an das Aufsteigen und den Regen zu denken. Kontakte zu Mitläufern sind schwierig, alle haben ihre Kapuze auf und vorne die Stirnlampe. Sehr gesprächig sind die meisten nun auch nicht. Jetzt geht es stundenlang steil bergauf bis zur Rudolfshütte. Der Weg ist sehr aufgeweicht und matschig. Eher ein Flussbett, das man gegen den Strom heraufwartet. Die Rudolfshütte liegt auf 2315 m .ü.A.. Oben angekommen ist ein top Verpflegungspunkt mit allem was das Herz begehrt. Mir hat es besonders die heiße Rinderbrühe angetan, von der ich mehrere Tassen trinke.

Segment II: 04h41min, Gesamt 06h:31min

 

Rudolfshütte - Kals

Nun steht die erste Überquerung des Alpen Hauptkamms an. Von der Rudolfshütte geht es erst in eine leichte Senke und dann steil bergan zum Karlser Törl, 2529 m. ü. A.. Mit dieser Überquerung sind wir dann auf der Alpen Südseite. Wir haben nun auch das Bundesland Salzburg verlassen und sind in (Ost)Tirol. An dem ersten Teil des Abstiegs kann ich mich nicht mehr erinnern, es muss aber steil herunter gegangen sein. Irgendwann hat es angefangen zu dämmen und ist heller geworden, wir sind über eine wunderschöne Alm gelaufen und sind dann an das Kalser Tauernhaus, eine Alpenvereinshütte gekommen. Es mag vielleicht gegen 6:00 Uhr morgens gewesen sein, als Getränke wurden angeboten: Bergwasser und alkoholfreies Weizenbier vom Fass,🍻. Von dort führte uns ein sehr angenehm laufbarer Wirtschaftsweg weiter bergab Richtung Tal. Wir passieren noch eine Klamm, nutzen eine Aussichtsplattform für lustige Fotos und laufen dann nach Karls ein, ein Bergort, der wunderbar in der Morgensonne leuchtet. Dort ist im Musikpavillion eine riesen Labestation aufgebaut, in der es Suppe, Nudeln mit Soße, Obst, Süßes, Salziges und diverse Getränke gibt. Ich lasse mir meinen DrobBag aushändigen, ziehe mich komplett um, Lade mein Telefon und meine Uhr auf, trockne meine Regenjacke in der Sonne und erhole mich ein wenig. Auf einem Beistelltisch liegen die Medaillen und Pokale für die Kinderläufe bereit, die dort stattfinden, aber wir reißen uns zusammen und wollen uns unsere Belohnung selber und ehrlich verdienen. Wir verweilen dort circa 75 Minuten. Sogar Massagen werden dort angeboten; aber, was nutzt es, wir wollen ja weiter. Karls liegt auf 1324 m. ü. A..

Segment III: 03h48min, Gesamt 10h:20min

 

Kals - Glocknerhaus

So, die Hälfte an Kilometern ist geschafft. Bis her war die Strecke einigermaßen laufbar, das dicke Ende kommt jetzt. Viel Höhe ist noch offen, und vor allen Dingen sind die guten Abschnitte durch und es kommen wohl noch wirklich unwegsame Wegstrecken. Sehr technische Wegpassagen, wie wir Trailläufer sagen.

Wenn man unten ist, muss man halt wieder hoch! Also geht’s wieder bergan. Immerhin auf einem ganz guten Weg. Dieser endet dann aber am Lucknerhaus auf 1920 m. ü. A.. Hier sind wir eigentlich nur noch im Power-Walking-Modus, schnell gehen, was zwar kräfteschonend ist aber einem auch nicht wirklich nach vorne bringt, wenn man auf so einer langen Strecke bergauf mit 3 km/h, und bergab mit 5 km/h unterwegs ist. Der Weg geht als Bergweg und Singletrail weiter steil bergan bis zur Glorer Hütte (2641m.ü.A.). Hier oben am Berger Törl wechseln wir nun vom Bundesland (Ost)Tirol nach Kärnten. Nun geht es in einem wilden auf und ab weiter im Hochgebirge. Wir bleiben erst mal eine ganze Weile mehr oder weniger auf Höhe, passieren die Salmhütte, bevor wir dann irgendwann, nach Stunden, sehr steil, einen mit Eisen versicherten Abstieg, unter den wachsamen Augen der Bergwacht, zum Speicher Margaritzen absteigen. Dieser liegt weit unten im Auslauf der Pasterze und auf 2000m.ü.A.. Wir überqueren die beiden Staumauern dieser Talsperre und steigen steil bergauf zum Glocknerhaus. Endlich eine Labestation. Es ist dringend notwendig. Es gibt auch wieder Suppe, Brühe, Nudeln mit Soße, Kuchen, Obst und Getränke. Der VP ist im Zelt aufgebaut, glücklicherweise kann man die Toiletten im direkt daneben liegenden Glocknerhaus nutzen. Der Herr Wurm drängelt zum Aufbruch. Gut so.

Segment IV: 06h04min, Gesamt 16h:24min

 

Glocknerhaus - Fusch

Und jetzt wird es erst richtig hart. Wer glaubt, wir hätten schon sehr viel geschafft, täuscht sich. Der Schein trügt. Auch das, was man sieht. Ich weiß, es geht jetzt weiter bergauf bis über irgendeine Scharte. Ja, es geht bergauf. Es geht steil bergauf. Oben sieht man immer wieder eine neue Kuppe, auf die man wohl hinauf muss. Als wir die letzte wiesenbedeckte Kuppe erreichen, sehe ich das Dilemma. Eine gigantische Hochebene aus Steinen und Blockfeldern. In der Mitte ein großer Bergsee, der augenscheinlich an der rechten Seite umrundet werden muss. Natürlich nicht einfach so, sondern zusätzlich noch über ein riesengroßes Schneefeld. Christoph kontrolliert unsere Geschwindigkeit und berichtet mir regelmäßig, dass wir für den letzten Kilometer, circa eine halbe Stunde gebraucht haben. Mein Gedanke: „Scheiße“! Über die Weite der Hochebene sieht man ein paar wenige bunte Punkte, Läufer auf dem Track. Wir bewegen uns also langsam bergab in die Senke, jeder Schritt ist sorgfältig zu wählen, laufen ist nicht mehr möglich. Wir passieren den Eissee und das Schneefeld, kommen auf die andere Seite und steigen ganz langsam von der Seite zur Unteren Pfandlscharte, 2663 m.ü.A. auf. Der höchste Punkt im Rennen. Oben erwarten uns zwei sehr freundliche Bergretter, die dort ein Biewak aufgeschlagen haben. Freundlicherweise machen sie an dieser imposanten Stelle ein paar Fotos von uns, in beide Blickrichtungen. Hier wechseln wir auch wieder vom Bundesland Kärnten nach Salzburg und haben die Alpen Hauptkamm zum zweiten Mal gequert. Langsam schließt sich der Kreis, aber die Lücke ist noch gewaltig. Ich finde immer, ein harter Aufstieg lohnt sich, wenn man mit einem langen, sanften Abstieg belohnt wird, bei dem man wieder ins laufen kommt. Hier soll es allerdings anders sein. Nördlich der Unteren Pfandlscharte, wo wir herunter müssen, erstreckt sich ein wirklich langgezogenes, gigantische Schneefeld ins Tal hinab! Die ersten Hunderte Meter kann man noch die Stollen in den Schnee treten und so einigermaßen absteigen. Dann wird das Schneefeld allerdings immer abschüssiger, die Bergrettung hat lange Taue verlegt, an denen man sich herunterlassen kann. Gottseidank bin ich dem Tipp der Bergrettung gefolgt und habe meine Handschuhe angezogen, ansonsten hätte ich mir wahrscheinlich schwerste Verbrennungen an den Händen zugezogen. Unten, wieder an einem Eissee angekommen, warte ich bei Bergrettern auf Mitläufer Christoph, der versucht hat, den Abstieg im Schnee auf dem Hosenboden zu meistern, was nicht so gut geklappt hat. Ich fragen nach der aktuellen Wettervorhersage und erfahre, dass dann auch mal wieder Gewitter angesagt sind. Mist! Jetzt folgt ein sehr langer Serpentinenabstieg auf einem schmalen, fast zugewachsenem Singletrail. Über diesen Abstieg gelangen wir ins wunderschöne Käfertal, auch Tal der Orchideen genannt. Unten angekommen wird es flacher, geht weiter seicht bergab, dafür fängt es aber wieder wie aus Eimern an zu regnen. In Ferleiten, in der Nähe des Wildparks ist eine Wasserstelle aufgebaut. Wasser gibt es gerade aber aus allen Richtungen genug. Also weiter Richtung Fusch, dort soll es den nächsten großen und auch letzten VP mit entsprechender CutOff Zeit geben. Von Ferleiten nach Fusch sollen es noch mal so 8 km sein. Gefühlt sind jetzt gerade alle Distanzen länger als ausgewiesen. Gefühlt halt. Wir laufen weiter über einen extrem schlammigen Trail seicht talwärts. Wir sehen Fusch unter uns liegen, werden dann aber noch mal ganz gemein, erst einmal bergauf geschickt, bevor wir dann wieder Berg ab dürfen. In Fusch, im Musikpavillon, gibt es wieder alles, was das Herz begehrt, nur leider kann ich kaum noch etwas zu mir nehmen. Wir liegen immer noch ziemlich genau eine Stunde vor dem Zeitlimit.

Im Nachhinein hat sich für mich dieses fünfte Segment, als das Schlüsselsegment des ganzen Laufes herauskristallisiert. Gerade in diesem Abschnitt war eine extreme physische, aber vor allen Dingen auch psychische Belastbarkeit gefragt. 

Segment V: 06h42min, Gesamt 23h:06min

 

Fusch - Kaprun

Dieses sechste und letzte Segment sollte auch noch mal der Hammer werden, aber man hatte ja wenigstens irgendwie das Ziel vor Augen und es sollen auch nur noch 14 km mit circa 1000 Höhenmetern folgen. NaJa.

Von Fusch geht es erst mal 2 km flach, auf guten Wegen aus dem Ort heraus, Richtung Zell am See. Man hätte auch schön um den letzten Bergrücken herum laufen können. Das hat der Veranstalter aber anders geplant. Es geht noch mal in einem Gewaltanstieg von 800m auf 1450m, also 650m steil bergauf. Immer wieder Regen und Schnauze voll. Auf der Hochebene vom Kreuzkopf geht es dann wieder teilweise bergab, was natürlich sofort durch Gegenanstiege wieder bestraft wird. So kommen auch noch mal 200 Höhenmeter zusammen. Damit ist dann das Bergauf auch abgefrühstückt. Nun geht es auf einem wilden Trail, in einer Klamm, ein letztes Mal steil bergab. Der Herr Wurm ist nun nicht mehr zu bremsen und stürzt sich in einem strammen Galopp in die Tiefe. Ich steige langsamer und vorsichtiger, auf meinen wackeligen Beinen ab. Die letzten 500 m geht es dann noch mal durch Kaprun. Kurz vor zwei Uhr, die Straßen sind menschenleer. Der große Bahnhof am Zielbereich ist noch aufgebaut, lediglich die Lautstärke herabgesetzt und gedrosselt. Man wird herzlich empfangen und begrüßt.

Sehr schade finde ich, dass ich keine Kraft mehr habe, mich zu freuen. Christoph wartet bereits im Ziel auf mich, wir setzen uns auf die Bühne, atmen durch und alle Anspannung fällt von uns. Mit unter 28 Stunden haben wir sogar die Qualifikationszeit für den legendäre Western States Endurance Run in den USA geschafft.

Segment VI: 04h46min, Gesamt 27h:53min

 

Wir schleppen uns noch zum Auto, Christoph steigt an der Turnhalle aus, ich schaffe es noch in die Ferienwohnung, bin stolz darauf, mich sogar noch gezwungen zu haben zu duschen und die Zähne zu putzen, schlafe dann tief und fest. Der Stolz und die Freude kommt am nächsten Tag.

Es war eine 🪓. 

Alles in allem dann doch 120 km, über 6000 Höhenmeter ⬆️und⬇️, Geröllfelder ⛰️, abseilen über Schneefelder❄️, stundenlanger Dauerregen, glücklicherweise angenehmen Temperaturen, Blockfelder, extrem anspruchsvolle Downhills, bis zu 6h ohne Verpflegungsmöglichkeit,  über etliche Kilometer mehr als knöcheltiefer Matsch. Mit dem treuen Begleiter Christoph 🪱. an meiner Seite war es machbar, schön und unterhaltsam. Danke dafür! Das war die größte sportliche Herausforderung, die ich jemals unter die  🦶🦶 genommen habe! Einer der härtesten  Bergläufe 🏔️ Europas, defintv das Non+Ulra in den Ostalpen. Es war ein außergewöhnliches Erlebnis. Finnisher Quote von lediglich 64 %. Ich bin sehr dankbar und demütig, dass ich das geschafft habe! 🩵

 

Ein ganz großes Dankeschön an die Menschen, die die Veranstaltung professionell vorbereitet und durchgeführt haben. Ganz besonders aber auch an die ganzen ehrenamtlichen Helfer, ohne die so eine Veranstaltung überhaupt möglich wäre! Danke!

Ein herzliches Dankeschön auch noch mal in meinen treuen Begleiter Christoph, der mich sicher und gut über die Strecke begleitet hat. Es war mir eine große Hilfe, immer jemanden in meiner Nähe zu wissen. Im Hochgebirge spürst du erst, wie klein du bist. Auch für deine Geduld bei diesen Sachen wie: Jacke an, Jacke aus, Trinkflasche raus, Trinkflasche rein, Telefon raus, Telefon rein… ich musste halt immer dabei stehen bleiben, konnte das nicht mehr im Laufen erledigen, wie sonst. Danke für die Begleitung, Unterstützung, Unterhaltung und Hilfe.

Nach wetterbedingter Streckenändeung ca. 120 km & ~6000 Höhenmeter ⬆️&⬇️

Menschen auf der Starterliste: 335

Gestartete Läufer/innen: 295

Läuferinnen im Ziel: 169 ~ 64%

Weitere Strecken: 110/84/57/37/16/Kinderläufe

 

Stohldreier Thorsten

Jahrgang: 1971

Ort: D-Hamburg

Team: 100 Marathon Club

Kategorie: 110km Ultra-Trail Männer M50

Rang: 36

Overall: 110km Ultra-Trail Männer OV

Startnummer: (301)

Zeit: 27:53.33,3

Overall: 163

 

Wurm Christoph

Jahrgang: 1974

Ort: D-Marsberg

Team: Drachenpaten e.V.

Kategorie: 110km Ultra-Trail Männer M40

Rang: 50.

Overall: 110km Ultra-Trail Männer OV

Startnummer: (295)

Zeit: 27:44.22,2

Overall: 158

 

Text: Thorsten Stohldreier 

Bilder: Christoph Wurm und Thorsten Stohldreier

Kommentare

Submitted byArne.Franck on Di., 15.08.2023 - 23:56

Hey Stulle,

super Leistung und ein toller ausführlicher Bericht von einem doch recht ungewöhnlichen Lauf. Die hohe Ausfallquote zeigt auch wie anspruchsvoll dieser Lauf war. Und die Schleswig-Holsteiner (ich) und die Hamburger (du) meckern ja eigentlich bei einem Lauf bereits über jede noch so kleine Erhebung im Gelände …