Auf den Philippinen sind die vorherrschend beliebten Sportarten Basketball und Boxen. Aber es gibt jede Menge Marathon und nach meiner Einschätzung noch mehr Ultramarathonläufe. Beliebt sind vor allem sogenannte 360-Grad-Läufe. Damit ist gemeint, dass eine große Runde, bevorzugt um einen Vulkan, gelaufen wird. In den Städten dominieren Läufe bei denen Wendepunkte anzulaufen sind. Ganz anders war es bei dem Lauf, über welchen hier berichtet wird.
Es sollte für mich nicht nur ein Marathon sondern quasi ein Überlebensmarathon werden. Denn Manila ist auch nach Mitternacht eine Millionenmetropole in welcher kein Stillstand herrscht und der Verkehr seinen ungewohnt chaotischen Verlauf nimmt. Jede kleinste Lücke wird ausgenutzt, rechts überholen ist der Normalfall.
Die Startnummernausgabe erfolgte in einem Lokal einer hier sehr verbreiteten Fast-Food-Kette. Es wurde kühler. Philippinos frieren in der Regel ab einer Temperatur unter 26 Grad da die Tagestemparturen regelhaft konstant über 30 Grad liegen. Danach war noch Zeit den Startort zu besichtigen. Der Midnight Ultramarathon wurde pünktlich um Mitternacht im Rizal-Park, mitten in Manila, bei 24 Grad gestartet. Dieser Park ist sozusagen das Herzzentrum des 7.107 Inselstaates.
Der Park wurde nach Dr. José Rizal benant, welcher ein Nationalheld auf den Philippinen ist. Er studierte in Heidelberg Augenheilkunde und deutsche Sprache. Nach Wikipedia hat er in Ulm Kinderbücher illustriert, u.a. die „Max und Moritz“-Geschichten. Befreundet war er mit einem der besten Kenner der Philippinen, mit Ferdinand Blumentritt und er, Rizal, wurde 1887 Mitglied der Berliner Gesellschaft für Anthropologie. Blumentritt war selber niemals auf den Philippinen. Er muss aber in seinen Forschungen entsprechende Bedeutung gefunden haben da nach ihm sogar einen S-Bahn-Station benannt worden ist.
Die europäischen Reise- und Wirkungsstätten von José Rizal sind, in Form einer europäischen Landkarte, auch im Park zu sehen.
Der Park ist absolut sehenswert. Er ist ein Ruhepol in Manila in einer ansonsten ruhelosen Stadt. Farbenprächtige Springbrunnen, Musik, entspannte Stimmung vor dem spannenden Rennen.
Das Briefing für die nach Auskunft des Veranstalters cirka 380 TeilnehmerInnen begann um 22:00 Uhr. 90 Minuten sprach der Organisator in Tagalog, der auf der Insel Luzon vorherrschenden Sprache, zum Streckenverlauf und den einzelnen zu belaufenden Stationen.
Nach dem Start empfand ich anfangs als einzigen Schutz gegen den Verkehr die Begleitfahrzeuge mit der Aufschrift „Race in Progress“. Aber nach 5 Kilometern hatte sich das Starterfeld derart auseinandergezogen, dass ich den richtigen Weg in Richtung des Zielortes Tagaytay stellenweise regelrecht erfragen musste. Gestikulierend fragte ich immer wieder, ob denn vor mir schon Läufer zu sehen gewesen und wohin diese gelaufen seien. An einer Stelle stoppten zwei andere Läufer, die ich dann erreichte, den Verkehr einer vierspurigen Straße um zu gewährleisten überhaupt auf die andere Straßenseite zu kommen. Also Kopflampe in den Verkehr halten und auf sich aufmerksam machen. Neben mir versuchten Jeepneys, Taxis und später viele Tricycles ihren Platz am Straßenrand zu behaupten. Augen auf und durch! Ich konnte nur noch denken, dass das einfach brutal ist.
Immer aus Manila bei laufendem Verkehr am Straßenrand herausrennend wurde der Stadtrand nach cirka 15 Kilometern erreicht. Das änderte nichts am Straßenverkehr, der ja beruhigter als am Tag war aber dennoch eine ständige lebenserhaltende Aufmerksamkeit erforderte. Ultramarathon? Eher Überlebenskampf! Und ich sah philippinische Läufer ohne Kopflampe mit nur einer Trinkflasche in der Hand. Auf den ersten 30 Kilometern waren drei Wasserstellen eingerichtet.
Ab Kilometer 30 sah ich, immer an der Fernverkehrsstraße entlang laufend, viele Kirchen und geschätzt genauso viele geöffnete Bars vor denen sich die Barmädchen postiert hatten und sich über den für sie ungewohnten (vorbeilaufenden) Mitternachtsgast freuten. Ich sage „I have my special date in Tagaytay“ und die Reaktion ist ausgelassenes Lachen.
Eine weitere Begegnung waren die Straßenkinder nachts um 03:00 Uhr die ihr Lager auf Kartons hergerichtet hatten. In Manila sollen bis zu 20.000 Kinder in Gefängnissen eingesperrt sein. Dietmar Bär und Klaus Behrendt vom Kölner Tatort-Team haben sich diesem Thema seit dem Manila-Tatort angenommen und einen Hilfsverein „Tatort – Straßen der Welt e.V.“ gegründet. Dies passt so gar nicht zu der überall anzutreffenden Hilfbereitschaft und mehrheitlich ehrlichen Freundlichkeit der Menschen auf den Philippinen. Besonders auf den kleineren Inseln sind die Menschen noch nicht so weit von einer ursprünglichen Lebensfreude entfernt.
Ich bewege mich vorwärts und mein Denken wird basal, undifferenziert. Ich denke es kommt jetzt nur noch darauf an, dieses Rennen so schnell als möglich beenden zu können. Ohne Wasserrucksack wäre ich nicht ans Ziel gekommen denn wahrscheinlich waren einige Stationen nach dem 30. Kilometer auf der anderen Straßenseite positioniert. Doch dann, nach 40 Kilometern, die ich nach cirka 4 Stunden erreichte, ein Stand mit „Boko Juice“, also mit Saft direkt aus der Kokosnuss und Bananen zum Abpflücken.
Ab Kilometer 40 ging es dann nur noch leicht bergauf. Tagaytay liegt auf einer Höhe von 634 Meter ü. NN und hat 63.000 Einwohner. Das Ziel befand sich auf einer Anhöhe namens „Palace in the Sky“. Deswegen benannte der Veranstalter den Lauf auch nach dem Motto „From the City to the Sky“.
Endlich, ab Kilometer 50 wurde es ruhiger. Meine Kopflampe spendete auch kein Licht mehr. Also weiter und ich werde von drei Läufern überholt. Ich bin down, versuche nur noch zu halten was zu halten ist. Vor mir niemand zu sehen und hinter mir auch nicht.
Ja, der Tag beginnt. Ich spüre, dass das Ziel naht. Am Ende werde ich erfahren, dass die Laufstrecke nicht wie angekündigt 60 Kilometer sondern 64 Kilometer lang ist. Aber dies spielt hier keine Rolle. Es sind ja 60 Kilometer
Kilometer 63 der National Road ist erreicht. Es ist kühl und der Wind weht. Im Morgennebel sehe ich den Taal See. Es geht weiter bergauf. Freudig werde ich von einer Gruppe junger Leute begrüßt. Das ist hier auf den Philippinen oft zu erleben. Die Menschen hier haben teilweise eine Unbeschwertheit die mir mitteilt, dass eben auch alles ganz anders geht. Nicht umsonst werben die Philippinen mit dem Slogan „It's more Fun in the Philippines“. Ich sage immer, abgewandelt, „It is more Sun in the Philippines“.
Nach 7 Stunden erreiche ich als 12. das Ziel. Was denke ich? Ich habe den Weg gefunden und mein Weg hat mich nicht im Stich gelassen. Ich bin durch die Nacht zum Licht gelangt.
Der Sieger, Joseph Gentoleo, brauchte 5:57 h. Ich wartete noch auf Victor. Er sagte, er sei schon über 70 Jahre alt und hätte seinen 89. (Ultra-)Marathon.
Es gab ein Post-Race-Meal, eine Medaille, ein Finisher Shirt und einen schönen Pokal. Die Medaille kann als einzelnes Teil mit mehreren Medaillen anderer Veranstaltungen des Organisators zusammengesetzt werden. Gute Idee.
Noch am gleichen Tag ging es mit dem Boot über den Taal-See zum Taal Vulcano, einst wohl der mit 6.000 Meter höchste Vulkan der Welt. Dieser Vulkan ist eingerahmt von einem Süßwassersee. Es folgt noch eine kleine Wanderung zum Krater See. Wer dort gräbt, so heißt es, kann in der Erde Eier weich kochen. Meine Beine waren am Ende aber weich genug für weitere Experimente.
Für Ungeübte stehen Pferde als Transportmittel bis zum Kraterrand zur Verfügung.
Am 15.05.2015 wird um den See der erste Taal Volcano 360 Grad 100-Kilometerlauf stattfinden. Das Panorama am Nachmittag nach dem Lauf war phantastisch. Die Rückfahrt nach Manila erfolgte einen Tag später im klimatisierten Reisebus. Der Fahrpreis betrug umgerechnet keine 3 Euro.