„Die alte Fokker rumpelt auf die Startbahn des Flughafens von Mexiko-Stadt. Zwei Dutzend Leute sitzen in der Maschine nach Oaxaca: In diesen Tagen fliegen nur wenige diese Strecke – Touristen sind nicht unter den Fluggästen. Denn Oaxaca lebt im Ausnahmezustand.“ So beginnt ein Artikel in „DIE WELT“ vom 20.11.2006. Auch die Heute Nachrichten im ZDF widmeten sich am 26.11. diesem Thema. Es ist der Tag vor unserer Reise nach Mexiko. Der Flug nach Oaxaca mit anschließender Übernachtung war Inhalt unseres Reiseplans und so brachen wir auf zu einer Reise mit ungewissem Verlauf.
Was vor etwa einem halben Jahr als Lehrerstreik begann, hat sich hier, im zweitärmsten Staat Mexikos, in eine politische Bewegung verwandelt. Die Asamblea Popular de los Pueblos de Oaxaca, kurz APPO genannt, strebt soziale und wirtschaftliche Veränderungen an und fordert den Rücktritt des Gouverneurs Ulises Ruiz, der die Lehrer gegen sich aufbrachte, als er ihren jährlichen Protest gewaltsam aufzulösen versuchte.
Nach der langen Anreise der Reisezeit Gruppe begrüßte uns die örtliche Reiseleiterin Heike in gewohnter Sprache. Sie stammt aus Baden Württemberg und hatte während ihres Kunststudiums einen Mexiko-Aufenthalt absolviert, bei dem sie sich in einen Mexikaner verliebte, eine Familie gründete und seither in Mexiko geblieben ist. Am folgenden Tag erfuhren wir bei einer Stadtrundfahrt einiges über Mexiko-City und der Besuch des Anthropologischen Nationalmuseums stimmte uns ein auf die Kultur der Tolteken, Azteken und Mayas, deren klassische Stätten wir während unserer Reise besuchen sollten. So informiert ging es gleich am Folgetag nach Teotihuacán (Náhuatl: „Platz, an dem man zum Gott wird“), nur unweit von Mexiko City entfernt. Die Pyramidenanlage wurde erst 1864 ausgegraben, bis dahin war sie ganz mit Erde bedeckt. Das Klettern auf die Pyramiden brachte in der Höhenlage von über 2200 Metern das Herz ganz schön zum rasen. Danach ging unsere Reise weiter nach Morelia und Patzcuaro. Beides sind wunderschöne historische Orte mit beeindruckender Kolonialarchitektur. Über Tlaquepaque, einem romantischen Kolonialstädtchen führte uns die nächste Etappe in die zweitgrößte Stadt Mexikos, nach Guadalajara, der Heimat der Mariachis, der Folkloremusik und der traditionellen Handarbeit.
Dann endlich ging es nach Mazatlán zum Gran Maraton Pacifico. Auf der Fahrt dorthin nutzen wir aber noch rasch die Gelegenheit für einen kurzen Abstecher nach Tequila, um dort eine Probe von Mezcal, einem Agaven-Brand, zu versuchen, der in der Umgebung der Stadt Tequila aus dem Herzen der blauen Agave gewonnen wird. Mazatlán erreichten wir am Nachmittag, so dass noch ausreichend Zeit war, für einen Besuch der Marathonmesse. Die Laufwettbewerbe verteilten sich auf zwei Tage: Samstags der 5 und 10 km Lauf mit jeweils rund 1500 Teilnehmern, am Sonntag Halbmarathon mit 3000 und Marathon mit etwas über 500 Teilnehmern. In Summe mit rund 6500 Teilnehmern also schon eine größere Veranstaltung. Der Marathon bietet was für’s Auge. Nicht nur die abwechslungsreiche Laufstrecke, die insgesamt drei Wendepunkte hat und zwischen km 22 und 34 direkt entlang der Pazifikküste verläuft, ist äußerst reizvoll, es sind auch die vielen netten Mädchen, die sehr zahlreich an den Ständen auf der Marathonmesse, der Startnummernausgabe, als Cheerleader oder auch nur hübsch aufgereiht zu finden sind. Und kommt man mit dem Fotoapparat, stellen sie sich sofort in Pose und wenden sich nicht ab, wie die z.B. in den Orten um San Cristobal de Las Casas beheimateten Nachfahren von Indianern. Diese sehen in uns vermutlich die ungeliebten Amerikaner, die Gringos (abgeleitet von „Green go“ bezogen auf die grüne Uniform der US-Armee).
Bis auf einige Mängel bei der Startnummernausgabe war die Veranstaltung sehr professionell organisiert. Medaille und T-Shirt gab es gegen Rückgabe des Chips. Dabei fiel auf, das es neben den zahlreichen Shirts mit rosaroten Ärmelansätzen auch einige wenige mit schwarzen gab. Beim späteren Vergleich stellte sich heraus, dass die rosaroten bei gleicher Größe wesentlich kleiner ausfielen, wohl spezielle Damenmodelle waren. Doch dabei wurde bei der Ausgabe nicht geachtet, zumal die Herrenmodelle auch zu wenig waren.
Während wir uns auf den Marathon vorbereiteten und anschließend am Strand erholten, wurde im Hintergrund nach einem Alternativprogramm für Oaxaca gearbeitet. Schien man anfangs noch am ursprünglich geplanten Programm festhalten zu wollen, wurde schließlich zu unserer Sicherheit Veracruz als nächster Etappenort festgelegt. Der Flug nach Oaxaca war damit gestrichen, statt dessen setzten wir nach dem Rückflug nach Mexiko-City die Reise per Bus fort. Drei Kurzreisende hatten uns leider in Mexiko-City verlassen, so dass uns die örtliche Reiseagentur einen kleineren Bus zur Verfügung stellte, weitaus weniger komfortabel mit klappernden Fensterscheiben, undichtem Dach und geringerer Geschwindigkeit und dies, wo lange Busfahrten vor uns standen. Nach sechs Stunden erreichten wir am Abend die Hafenstadt Veracruz. Als kleine Entschädigung für unsere Strapazen bekamen wir das Abendessen im Hotel auf Kosten der Reiseleitung. Später genossen wir den Abend im Freien in einem Straßenlokal bei einigen Gläschen Bier und beobachteten die zahlreichen Händler, die versuchten, ihre Havanna-Zigarren, Handarbeiten oder nachgemachte Rolex-Uhren zu verkaufen und hörten die Klänge der vorbeiziehenden Straßenmusikanten, die für ein paar Pesos ihr Ständchen gaben. Um den Reiseverlauf wie geplant fortsetzen zu können, stand nun eine lange Busetappe bevor, unterbrochen nur von zwei Toilettenpausen und einem kurzen Stop auf dem Standstreifen der Autobahn.
Bei uns undenkbar, aber gerade hier bot sich die Gelegenheit, sich kurz mit den Fackelläufern zu unterhalten, die uns auf allen Straßen während unserer Reise alle paar Kilometer begegneten. Sie pilgern alljährlich im Dezember zur Wallfahrtsstätte der Jungfrau von Guadeloupe, ca. 6 km vom Zócalo, dem Stadtzentrum Mexiko-Citys entfernt. Genau 12 Stunden nach unserer Abfahrt trafen wir in dem kleinen Örtchen Chiapa de Corzo ein. Auf der langen Fahrt hatte unser mexikanischer Reiseleiter Juan, der in der zweiten Woche Heike abgelöst hat, viel über sich und seinen Aufenthalt in Deutschland erzählt. Er war während seines Studiums zum Schifffahrtskaufmann in den 80-er Jahren längere Zeit in Deutschland gewesen. Trotzdem war diese Tagesetappe nicht gerade eine Erholung, aber nur so konnten wir den nächsten Etappenort San Cristobal de Las Casas am Folgetag gut erreichen. Eine über zweistündige Bootsfahrt auf dem Canon del Sumidero war dabei eine willkommene Abwechslung und entschädigte für den strapaziösen Vortag.
Die weiteren Tage waren dann geprägt von Besichtigungen von Tempelanlagen und Ausgrabungsstätten, wie sie hier zahlreich vorkommen. Wir sahen Palenque, Labna, Sayil, Uxmal, Chichén Itzá und Tulum. Abends bummelten wir bei sommerlichen Temperaturen durch die weihnachtlich geschmückten Städte Campeche und Merida, die mit Prozessionen, Tanzaufführungen und Straßenmusikanten sehr lebhaft waren. In Cancun schließlich endete diese unvergessliche Reise, deren Verlauf wegen des Abstechers zum Marathon nach Mazatán und der „Umleitung“ nach Veracruz in dieser Form wohl einmalig war.
worldrunner - Michael Weber